Ein Gespräch mit dem Österreichischen Schachverband über Strategie, Leistung und Schummeln im Schach.

Doping im Schach: Eine sinnvolle Strategie?

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Im Gespräch:

David Müller

David Müller ist Abteilungsleiter für Information und Prävention bei der Nationalen Agentur seit 2008. Seine Motivation ist es, jungen Menschen und generell Sportler:innenSportlern und Betreuungspersonen dabei zu helfen, dass sie einen sauberen Sport ausüben können.

Christian Kindl

Christian Kindl ist Mitglied im Präsidium des Österreichischen Schachverbandes und Landespräsident von Niederösterreich.

Monika Stolze

Monika ist als sportwissenschaftliche Beraterin ehrenamtlich im Ausschuss der WKO NÖ Fachgruppe Lebens- und Sozialberatung. In ihrer Funktion als Geschäftsführerin der Zweihorn GmbH ist sie mit der Ausrichtung des Green Events „sportKULTUR im Wolkenturm“ beauftragt.

Monika: Wie beurteilt die Anti-Doping-Agentur die Situation im Schachsport?

David: Natürlich gibt es, ähnlich wie in anderen Sportarten, ein gewisses Dopingrisiko, besonders bei langen Turnieren. Allerdings stufen wir das Risiko im Schach als niedrig ein, besonders im Vergleich zu Kraft- oder Ausdauersportarten.

Christian Kindl: Wir haben bereits vor ungefähr achtzehn Jahren begonnen, obligatorische Regelungen zu implementieren, damals noch unter der Vorgängerorganisation der  NADA, dem Österreichischen Anti-Doping-Comite. Diese Regelungen wurden in unsere Turnier- und Wettkampfordnung übernommen, welche für unsere Schachspieler von zentraler Bedeutung ist. Ohne diese Ordnung ist ein regulärer Spielbetrieb nicht möglich. Ehrlich gesagt ist klassisches Doping, wie es die NADA definiert, in unserem Bereich jedoch nicht das Hauptproblem.

David: Beim Schach ist es weniger wahrscheinlich als in anderen Sportarten, dass Substanzen außerhalb von Wettkämpfen zur Leistungssteigerung genutzt werden können, daher ist es weniger sinnvoll, Schachspieler außerhalb von Wettkämpfen zu kontrollieren.

Christian Kindl: Ich selbst dürfte jetzt beispielsweise nicht Schach spielen, weil ich rauche, und das ist bei uns seit etwa dreißig Jahren strikt untersagt.

David: Nikotin ist zwar verbandsintern verboten, aber für uns bei den Anti-Doping-Kontrollen nicht von Bedeutung. In unserer Präventionsarbeit, die wir auch in Schulen und Nachwuchskadern durchführen, thematisieren wir eine breitere Palette von Substanzen, darunter Cannabinoide, Snus, Nikotinbeutel und andere, die nicht unter das klassische Verständnis von Doping fallen. Ziel ist es, zu zeigen, wie der Einstieg in eine Doping-Mentalität beginnen kann, oft schon mit harmlos scheinenden Substanzen wie beispielsweise Traubenzucker.

Monika: Herr Kindl, wie wirken sich Krankheit auf das Wettkampfverhalten im Schach aus?

Christian Kindl: Wenn ich kein Turnier spiele, verändert sich meine Leistung nicht – ich kann mich weder verbessern noch verschlechtern. Wenn man sich schlecht fühlt, verliert man eher und niemand würde das Risiko freiwillig eingehen. Ob es Substanzen gibt, die kurzfristig die Gehirnleistung oder die Kombinationsfähigkeiten steigern können, weiß ich nicht und möchte auch nicht spekulieren.

Monika: Wie sieht die NADA das?

David: Wir sind uns bewusst, dass es prinzipiell in jeder Sportart Substanzen gibt, die unterstützend wirken könnten. Beim Schach stelle ich mir das etwas komplizierter vor, zumal es nur um Gedächtnisleistung geht und die Turniere teilweise sehr lang dauern.

Christian Kindl: Richtig.

Monika: Ein Schachzug meines Gegners kann mich nervös machen oder unbeeindruckt. Da gibt es vermutlich gar nicht so viele Substanzen, die auf beide Situationen passen?

David: Es gibt natürlich einige Substanzen, die die Konzentration steigern können, der Nachteil ist aber, dass diese Substanzen einem nach dem Hoch in ein Tief versetzen, das bedeutet, dass es bei längeren Spielen kontraproduktiv wäre.

Christian Kindl: Und dann bleibt das Risiko, dass ich dann in der Cheat-Tabelle mit meiner mathematischen Abweichung trotzdem wieder auffalle.

Monika: In Körpersportarten führt kontinuierliches, intensives Training zu einer automatischen Leistungssteigerung, da die Muskeln besser trainiert und koordiniert sind. Ist das auch im Schach anwendbar?

Christian Kindl: Definitiv. Selbst in den unteren Ligen, gibt es Spieler, die vor dem Match joggen gehen. Sie sagen, dass sie sich schlechter fühlen, wenn sie das nicht tun.

Monika: Wie oft trainiert man im Schach üblicherweise?

Christian Kindl: Im Gegensatz zu körperbetonten Sportarten können wir im Schach bis zu vierzig Stunden pro Woche intensiv trainieren, da der Geist bei Weitem nicht so schnell ermüdet wie der Körper. Alle, die Großmeister werden wollen, trainieren intensiv, oft schon ab einem sehr jungen Alter.

Monika: Könnten sich leistungssteigernde Mittel im Training oder auf die Wettkampfleistung im Schach auswirken?

David: Wenn Substanzen verwendet werden, die die kognitive Leistungsfähigkeit im Training erhöhen, dann ja. Man könnte vermutlich komplexere Strategien schneller lernen und diese Fähigkeiten dann im Wettkampf, ohne direkte Substanzeinnahme, nutzen.

Monika: Ist diese gesteigerte Lernfähigkeit für junge Schachspieler ein Vorteil für die Leistung beim Turnier?

Christian Kindl: Eher nein, aber dazu fehlt die Datengrundlage. Heutzutage hat ein fünfzigjähriger Spieler ohnehin kaum eine Chance gegen einen Zwanzigjährigen, teils wegen der körperlichen Verfassung. Die Jugend lernt unglaublich schnell, auch ohne Substanzen. Der größte Vorteil in unserem Bereich, besonders bei jungen Schachspielern, ist das Selbstvertrauen. Die Lösung von Schachproblemen im Training erhöht das Selbstwertgefühl und die wahrgenommene Stärke. Ich bezweifle jedoch, dass solche Effekte allein durch Substanzen erreichbar wären.

Monika: Welche Möglichkeiten gibt es, am Turniertag zu schummeln oder heimlich Substanzen einzunehmen?

Christian Kindl: Wenig. Spieler dürfen den Spielsaal nur verlassen, wenn sie nicht am Zug sind. Sie haben dann Zugang zu einem abgegrenzten Bereich, der ein Buffet, Raucherbereiche und Toiletten umfasst. Dort werden oft Kaffee und energiereiche Snacks wie Red Bull angeboten. Viele Spieler konsumieren Kaffee strategisch kurz vor der Partie, um ihre Konzentration zu maximieren.

Monika: Ist der Kaffee vor dem nächsten Spiel dann eher ein Ritual oder zielgerichtete Stimulation?

David: Koffein und andere Stimulanzien mobilisieren die Energievorräte des Körpers, was kurzzeitig förderlich sein kann, insbesondere in Schnellkraftsportarten wie Gewichtheben. In Ausdauersportarten, werden zum Beispiel Koffeintabletten genutzt, um gegen Ende eines Rennens noch einmal alles geben zu können. Allerdings kann der darauffolgende Ermüdungseffekt kontraproduktiv sein, wenn direkt nach der Anstrengung weitere Leistungen erbracht werden müssen.

Monika: Bei langen Schachturnieren spielt abgesehen von der körperlichen Fitness also die Ernährung bestimmt eine wichtige Rolle?

Christian Kindl: Tatsächlich könnte die Ernährung eine entscheidende Rolle für die Leistung bei langen Schachturnieren spielen. Stellen Sie sich vor, Sie spielen über mehrere Stunden Schach und erleiden einen Blutzuckerabfall. In solchen Momenten könnte eine unausgewogene Ernährung, wie zum Beispiel der Verzehr von zwei bis drei Leberkäsesemmeln, kontraproduktiv wirken.

Monika: Sind Sportler hier beratungsresistenter als Sportlerinnen?

Christian Kindl: Obwohl Schach traditionell als männerdominierter Sport gilt, wird die Bedeutung einer guten körperlichen Verfassung und ausgewogenen Ernährung zunehmend „anerkannt“.

Schachcomputer übersteigen heute die Spielstärke jedes menschlichen Spielers, sogar die des Weltmeisters. Dies führt zu einem enormen potenziellen Vorteil, den kein Doping erreichen kann.

Monika: Die Möglichkeit, durch technische Mittel das eigene Spiel zu verbessern, stellt also eine große Herausforderung dar. Wie kann man dagegen vorgehen?

Christian Kindl: ist schon lange ein Thema. Die Regelungen sind mittlerweile sehr gut entwickelt. Die Schach-Partien werden mittlerweile oft automatisch von elektronischen Brettern erfasst. Eine Cheat-Datenbank kann dann sehr genau analysieren, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Spieler gemäß seinem üblichen Niveau gespielt hat. Das schreckt die Spieler ab und funktioniert sehr effektiv.

Monika: Wie beeinflusst künstliche Intelligenz die Vorbereitung und Strategie im Schach?

Christian Kindl: KI ist im Schach bereits Realität. Programme wie ChessBase ermöglichen es, spezifische Partien und Eröffnungen zu analysieren. Theoretisch könnten wir uns schon in naher Zukunft durch KI bei der Vorbereitung unterstützen lassen. Diese Technologie ermöglicht es, detailliert zu analysieren, wo genau die Schwächen eines Spielers in seiner bevorzugten Eröffnung oder in seinen typischen Zügen liegen. Dies bietet uns die Möglichkeit, sehr spezifische und effektive Strategien zu entwickeln, um die identifizierten Schwachstellen gezielt auszunutzen.

Monika: Was ist nötig, um optimale Bedingungen für Schachspieler zu schaffen?

Christian Kindl: Ganz wichtig ist für uns die Ruhe. Es gibt Turniere unterschiedlicher Qualität, und je höher das Niveau, desto perfekter sind die Maßnahmen. Wir sorgen dafür, dass die Tische und die Umgebung den Anforderungen entsprechen und dass die Spieler nicht durch äußere Einflüsse gestört werden. Die Spieler müssen vor unangenehmer Sonneneinstrahlung geschützt und durch den Schiedsrichter optimal betreut werden. Wir tun viel für die Spieler, denn obwohl Schach ein Denksport ist, ist es auch körperlich sehr fordernd.

Danke für das spannende Interview!